Wenn Gott zu langem Leben verhilft

„Wenn Gott zu langem Leben verhilft“, so lautet eine Grafiküberschrift in einem Artikel auf Welt.de, der über die Macht der Rituale handelt. Auf den Artikel selbst will ich hier nicht eingehen, denn solche Textpassagen, wie „Ein persönliches alltägliches Ritual ist das Duschen am Morgen, das Um-den-Block-Gehen am Abend oder der „Tatort“ am Sonntagabend. Fällt eines weg, fühlt man sich irgendwie unvollständig.“ lassen mich nur den Kopf schütteln. Für mich gehört das Duschen zum Erhalt meiner Gesundheit und meiner sozialen Beziehungen und nicht zu irgendeinem Ritual, den ich aus irgendwelchen psychologischen Gründen ausführe. Aber gut, zurück zur der Grafiküberschrift.

Die Grafik1 zeigt die Lebenserwartung von Mönchen und Nonnen, also tiefreligiösen Menschen und die durchschnittliche Lebenserwartung der Bundesbürger für Männer und Frauen getrennt. Die Lebenserwartung der Nonnen und der Frauen im Allgemeinen sind in etwa gleich. Zwischen der Lebenserwartung der Mönche und der Männer im Allgemeinen gibt es aber einen großen Unterschied von etwa 5 Jahren.

Der Artikel suggeriert und die Grafiküberschrift sagt es explizit, dass religiöse Menschen länger leben. Wenn man als Basis dieser Aussage nur den dargestellten Graphen nimmt, dann ist diese Behauptung eindeutig falsch.

Die Lebenserwartung ist ein erwarteter Durchschnittswert für den Zeitraum von der Geburt bis zum Tod.
Im Mittelalter lag die Lebenserwartung bei 30-40 Jahren oder noch niedriger. Das heißt aber nicht, dass es keine Menschen gab, die 60,70,80 oder gar 100 Jahre alt wurden. Die Kindersterblichkeit war sehr hoch (ich habe Zahlen von 40% bis zum zehnten Lebensjahr im Kopf…) und so wurde der Durchschnittswert nach unten gezogen. Beispiel: In einem Ort sind innerhalb eines Jahrs 100 Kinder geboren. Nach zehn Jahren sind von den 100 Kinder 40 tot. Die restlichen 60 Kinder überleben und leben noch weitere 40 Jahre, werden also 50 Jahre alt. Die Lebenserwartung liegt also grob bei (40*10a + 60*50a)/100 = 34 Jahren2. Soviel zur Verdeutlichung, dass die Lebenserwartung nichts darüber aussagt, wie lange ein einzelnen Mensch lebt.

Mönche gehören nicht zu Risikogruppen, wie Soldaten, Polizisten oder Sicherheitsdienstmitarbeiter, die schnell in Konfliktsituationen kommen können und leider auch manchmal dabei ihr Leben lassen. Sie sind gehören nicht zu solchen Berufsgruppen, die bei Wind und Wetter arbeiten und dabei ihre Gesundheit strapazieren. Sie üben auch keine Extremsportarten aus (nehme ich mal an ^^). Sie müssen sich (vermutlich) auch keine Gedanken um medizinische Versorgung machen. Und, und, und…

Das sind alles Faktoren, die dafür sorgen, dass im Durchschnitt weniger Mönche früher sterben, als Durchschnittsbürger. Dies hat aber nichts mit dem Glauben zu tun, sondern allein mit den Lebensumständen.

Einfach die Lebenserwartung von Mönchen und der Männer im Allgemeinen zu vergleichen und daraus zu folgern, dass religiöse Menschen länger leben ist genauso sinnvoll, wie wenn man die Anzahl der Ertrunkenen einer Wüsten- und einer Küstenregion vergleicht und daraus folgert, dass die ersteren die besseren Schwimmer sind.

1 Ich habe die Grafik absichtlich nicht eingebunden, da ich kein Bock auf (C)-Probleme habe. Die Daten stammen von der Bertelsmann Stiftung, aber ich konnte sie nicht finden.

2 Grob, weil ich in der Rechnung angenommen habe, dass die 40 Kinder genau 10 Jahre alt wurden. Sie könnten aber schon im ersten Lebensjahr sterben. Das würde den Wert der Lebenserwartung noch weiter nach unten ziehen.
Anzumerken ist auch, dass Kindersterblichkeit nur ein Grund für die niedrige Lebenserwartung war. Man denke da nur an die Pest.

5 Gedanken zu „Wenn Gott zu langem Leben verhilft“

  1. Ich würde auch einfach mal behaupten, dass Mönche etwas gesünder leben als der Durchschnittsbürger – vielleicht nicht rauchen, am Wochenende keinen Alkohol trinken usw usf (reine Mutmaßung meinerseits) … aber das ist nichts religionsexklusives bzw. -spezifisches, es mag lediglich durch den Lebensstil gefördert werden. Wie du schon sagtest, Äpfel und Birnen …

    ADMIN EDIT: URL wurde entfernt. Die Links stehen hier sowieso auf Nofollow => SEO bringt nichts.

  2. Nur weil viele Erklärungen dagegen sprechen, heißt das doch noch lange nicht, dass die Kirche es nicht so ausdrücken kann, dass es für ihre Zwecke positiv ist, oder? Das war doch eigentlich schon immer so…^^

  3. Ich denk unabhängig davon was man von hiesigen Religionen hält oder nicht hält, die Kirche & Co wussten schon immer hervorragend sich selbst zu vermarkten. Ob ein „längeres Leben“ nun auf der richtigen Ernährung basiert, oder überhaupt wissenschaftlich nachzuvollziehen ist, bleibt hundertprozentig nie ergründet.

    Nicht umsonst jedoch, hielten Psychoanalytiker Freud & Jung die Suggestion schon vor 2 Jahrhunderten für ein hervorragendes Mittel, um sich ganz unbewusst zu neuen Höchstleistungen zu motivieren. Vielleicht ist ja auch die Sicht auf das Leben, ein ganz neuer Ansatz, um seine Lebenslänge aktiv zu verlängern….

  4. Naja, man kann durch Statistiken sehr gut untersuchen, ob der Glaube an Gott das Leben verlängert oder nicht. Mir ist so eine Untersuchungen nicht bekannt (Hinweise sind willkommen), aber ich behaupte mal, dass der Glaube keinen Einfluss auf die Lebensdauer hat.

    Dass die Psyche eine große und meiner Meinung unterschätze Rolle im Leben eines Menschen spielt ist nicht abzustreiten. Wir fangen erst jetzt an uns selbst zu verstehen. Viele wollen aber sich selbst nicht verstehen und verstecken sich stattdessen hinter irrationalen Konstrukten wie Religionen.

    PS: Sigmund Freund lebte noch im letzten Jahrhundert.

    PPS: Ich halte von Astrologie noch weniger als irgendeiner Religion, deswegen wurde der Link entfernt.

  5. Lieber Maxim,

    das ist ein nettes Beispiel für die Auslesung von Daten im Sinne der eigenen Interessen.

    Der Hauptpunkt der höheren Lebenserwartung liegt schlicht und ergreifend darin, dass Mönche erst mal ein Alter erreichen müssen, in dem sie Mönche werden können, d.h. sie sind NICHT schon vorher als Kind gestorben. Die Lebenserwartung ist also um mindestens das durchschnittliche Eintrittsalter höher als bei der Grundgesamtheit.

    liebe Grüße
    Beate

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